Geschichte

 

Der HBKK in der Arbeit der katholischen Kirche mit den Vertriebenen

Mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Beginn der Nachkriegsvertreibungen erinnern wir an die Situation in den Nachkriegsjahren, an die Ängste und Schmerzen in der Zeit als die Flüchtlinge und Nachkriegsvertriebene in den Besatzungszonen strandeten und sich neu orientieren mussten.

Die prekäre Situation, in die die Vertriebenen und Flüchtlinge in den Besatzungszonen Deutschlands gekommen waren, wurde vielfach dargestellt1 und erzählt.2 Dennoch muss wenigstens kurz und kursorisch an die Ablehnung, an den Hunger, die Rationierungen, die Erschöpfung, an die Mittellosigkeit, bei vielen auch Hoffnungs-, weil Perspektivlosigkeit erinnert werden, um die Atmosphäre, den Kontext anzudeuten.

"Und ein Gift wird ja nicht durch Worte überwunden, sondern nur durch eine neue Lebenskraft, durch ein Heilwerden und Gesundwerden von der Wurzel her. Wo sind solche Brückenbauer zu finden? Wo können wir solche neue Lebenskraft gewinnen?", fragte der aus seinem Bistum Ermland ausgewiesene Bischof Maximilian Kaller.

Zeitgenössische Appelle zu einer grundlegenden Erneuerung nach der NS-Diktatur, zum Verzicht auf Hass und Rache, wie sie sich im Weihnachtsbrief von P. Paulus Sladek 1945 oder in Bischof Kallers Pfingstpredigt desselben Jahres zeigt, gehören zu den wegweisenden Perspektiven katholisch-kirchlicher Integrationsbemühungen für die Flüchtlinge und Vertriebenen.

Wie viele Anläufe, Schritte, Überwindung von Hürden, Hilfestellungen, Begleitung braucht es, damit das Bild des Menschen wiederhergestellt werden kann und dass dann im zweiten Schritt in der Fremde Heimat wachsen kann – vielleicht gar eine zweite Hälfte der Heimat?

In einer Umgebung, die selbst nach neuen Konstellationen sucht, um die gewaltigen anstehenden Aufgaben bewältigen zu können.

Die katholische Kirche bot mit vertrauten Riten und Formen für manchen Vertriebenen den Boden, von dem aus er die ersten Schritte in die Neuorientierung seines Lebens wagte. Bei kirchlichen Veranstaltungen konnte man sich treffen, sein Schicksal erzählen und so Mut und Hoffnung schöpfen. Die Seelsorger waren bemüht, dass die Vertriebenen einen nüchternen Blick auf die Realität gewannen und nicht in Rückkehrutopien verfielen oder verharrten; das war Voraussetzung und Grundlage für jegliche Integration. Seelsorger riefen die einsässige Bevölkerung zu Verständnis, Anteilnahme am Schicksal der Vertriebenen und zum Teilen auf; nur so konnten Brücken gebaut werden zwischen den vielfach als zutiefst fremd empfundenen Ankommenden und den Einheimischen. Die Quellen belegen, wie hoch die staatliche Verwaltung den Beitrag der Kirchen zur Entspannung der Situation schätzte.

Ihre religiösen Heimaten wollten die Vertriebenen gewahrt wissen. Das führte vorrangig in Diasporagebieten regelrecht zum Entstehen neuer Sakrallandschaften, in geschlossenen katholischen Gebieten nicht selten zur Konfrontation.

Integration erfolgte aber nicht nur durch Pflege des religiösen Brauchtums, sondern durch Linderung der Notlage, durch Schaffung von Wohnraum, durch Ausbau der Infrastruktur (nicht zuletzt durch den Bau von Kirchen), durch Handel und Wandel, durch Begegnung – hier versuchte die Kirche immer wieder Foren anzubieten in Wallfahrten, besonderer Gestaltung von Festen und nicht zuletzt in Akademieveranstaltungen.

Und ich will hier eigens und ausdrücklich auf die sozialpolitischen Impulse kirchlicher Vertriebenenarbeit hinweisen.

Damit sind zentrale Intentionen der Kirchlichen Selbsthilfegruppen skizziert, die sich zwischen 1946 und 1952 gründeten. Zu ihnen gehört auch der Hilfsbund der Karpatendeutschen Katholiken.

Die ersten Jahrzehnte sind geprägt von zwei nicht gerade konfliktscheuen Protagonisten: Jakob Bauer am 17. Juli 1894 in Schmiedshau im Hauerland, einer deutschen Sprachinsel in der Mittelslowakei geboren, übernahm nach verschiedenen Stationen als Kaplan 1923 die Pfarrstelle in seiner Heimatgemeinde. Er war von 1923 bis 1945 Gemeindepfarrer in Schmiedshau. Wie Josef Steinhübl sah er, dass sich Seelsorge in der Slowakei in der Zwischenkriegszeit auch der sozialen Situation der Gemeindeglieder annehmen musste. Wie Steinhübl kämpfte er für die Muttersprache der Deutschen sowohl in der ungarischen Zeit, also bis 1918, wie auch in der Slowakei. Gleichzeitig griff er zeitgenössische moderne Medien der Seelsorge auf, wie Priesterkonferenzen, katholische Periodika und hielt, auch hier assistiert von Steinhübl, 1934 in Deutsch-Proben den Deutschen Katholikentag in der Slowakei, an dem etwa 15.000 Gläubige teilgenommen hatten. Nach der Vertreibung 1946 kam Bauer nach Tartenkofen, das zum Markt Pilsting gehört. Er betreute dort die St. Ottilia-Gemeinde beinahe 50 Jahre lang.

1948 gründete er zusammen mit Gesinnungsgenossen den Hilfsbund karpatendeutscher Katholiken in München. Zusammen mit evangelischen Landsleuten des Hilfskomitees schuf er die Arbeitsgemeinschaft der Karpatendeutschen und später die karpatendeutsche Landsmannschaft.

Wie alle katholischen Hilfsorganisationen und Gruppen leistete Bauer mit seinem Hilfsbund caritative Sofort- und Nothilfe, versuchte Adressen zu vermitteln und Familien zusammenzuführen, feierte Gottesdienste auf Heimattreffen von Ortsgruppen, veranstaltete Wallfahrten und hielt jeweils eine Kulturtagung pro Jahr. Außerdem redigierte er den katholischen Teil zum Karpatenblatt. Unterstützt wurde er dabei von seiner Haushälterin, Paula Klug, dem Regensburger Rektor Emil Liemann und anderen. Liemann und Klug waren die heftigsten und schärfsten Wortführer in der Auseinandersetzung mit dem Stuttgarter Hilfsbund für karpatendeutsche Katholiken, der seit 1955 unter der Leitung von Josef Steinhübl stand und von der Kirchlichen Hilfsstelle Süd wie auch vom Amt des Vertriebenenbischofs als Zuwendungsempfänger für die finanzielle Unterstützung bestimmt wurde.

Die Aktivitäten des Hilfsbunds im Bistum Rottenburg-Stuttgart wurden vor allem durch Josef Steinhübl intensiviert, der nach seiner Haftentlassung 1955 zu seinem Bruder und seiner Mutter nach Frickenhausen kam und nach einer Phase der Erholung zum Vertriebenenseelsorger im Bistum Rottenburg-Stuttgart ernannt wurde. Er bekam dabei vom Bischof den Auftrag, für die Vertriebenen in der Diözese zu wirken, vor allem aber die Arbeit des Hilfsbundes der karpatendeutschen Katholiken Bistum Rottenburg-Stuttgart auf- und auszubauen, in Vorträgen den Vertriebenen wie den Einheimischen von seiner Situation in der Haft zu berichten, sie in ihrem Glauben zu bestärken, Einheimische und Vertriebene zusammenzuführen. Überbringer dieses Auftrages war der für den Vertriebenenbereich zuständige Domkapitular Alfons Hufnagel.

Bereits ein Jahr später, also 1956, wurde Steinhübl als Stadtpfarrer nach Stuttgart in die Gemeinde St. Fidelis berufen.3

Steinhübls Tätigkeit als Priester in Slowakei war in vielem ähnlich gelagert wie die von Jakob Bauer. Das wurde angedeutet. Auch er spürte bereits in seiner Kaplanstätigkeit in unterschiedlichen Gemeinden der deutschen Sprachinseln in der Slowakei, dass Seelsorge soziale Aspekte beinhalten musste. Er stärkte das Genossenschaftswesen, wurde als Vertreter der deutschen Sprachgruppe in das Pressburger Parlament gewählt, war einer der Mitinitiatoren und Träger des Deutsch-Probener Katholikentages und konnte 1942 einen umfangreichen Um- und Neubau der Kirche seiner Gemeinde in Krickerhau abschließen. Dies ist insofern an dieser Stelle erwähnenswert, weil es Steinhübl gelungen war, für diesen Umbau, der quasi zu einem Neubau wurde, den damals intensiv für die liturgische Bewegung arbeitenden Architekten Rudolf Schwarz4 zu gewinnen, der in enger Zusammenarbeit mit Romano Guardini auf Burg Rothenfels gebaut hatte.5 In diesem Kontext steht auch das Ergebnis des Krickerhauer Kirchenumbaus: Der Altar stand in der Mitte des Volkes. Ein zentrales Anliegen der liturgischen Bewegung, der liturgischen Erneuerung war hier 25 Jahre vor den Reformbeschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils realisiert worden.

Wegen seines Einsatzes für die Anliegen, Nöte und Interessen der Deutschen in der Slowakei wurde Steinhübl 1945 inhaftiert und zum Tode verurteilt. Über zwei Jahre lang wartete er auf die Vollstreckung dieses Urteils, das schließlich als Gnadenerweis des Staatspräsidenten Benesch in eine langjährige Kerkerhaft umgewandelt wurde. 1955 wurde er in die Bundesrepublik entlassen.

Steinhübl arbeitete als Diözesanvertriebenenseelsorger seit dem 23. Dezember 1955 bei der Caritas-Flüchtlingshilfe in Stuttgart. "Was ich zu tun hatte, wurde mir vom Prälat Dr. Hufnagel mündlich mitgeteilt. Ich sollte dafür sorgen, dass der Hilfsbund karpatendeutscher Katholiken in der Diözese aktiviert und ein leistungsfähiger Partner der anderen Heimatvertriebenenverbände werde. Ferner sollte ich auch in der ganzen Diözese zu den Heimatvertriebenen sprechen, in dem ich schlicht und einfach über meine Erlebnisse in der Slowakei berichten sollte, um die Gläubigen auf diese Weise in christlichem Bewusstsein zu stärken. So kam ich in den ersten vier Monaten des Jahres 1956 in fast alle Gemeinden, in denen eine größere Anzahl von Heimatvertriebenen wohnte. Dieses Unternehmen organisierte Herr Nack von der Ackermann-Gemeinde, der auch mein ständiger Begleiter und Mitredner war."6

Die Gründung des e. V. in Stuttgart mit dem Anspruch auf Bundesebene Tätigkeit entfalten zu wollen, geriet in Konkurrenz zu den gewachsenen Ansprüchen des Hilfsbundes in München, der als Organisation nicht registriert war. Es gibt eine Vielzahl von Vermittlungsversuchen, die angenommen, kurz darauf wieder verworfen wurden.

Ein Burgfrieden wurde zum Goldenen Priesterjubiläum von Jakob Bauer 1968 vereinbart. Die alten Streitigkeiten brachen danach aber wieder auf; letztlich kam es erst 1986 zu einer Klärung und Einigung.7

Das Kompetenzgerangel zwischen Bauer und Steinhübl hat offensichtlich im Hilfsbund sehr viele Kräfte absorbiert, hat aber den Hilfsbund e. V. Stuttgart über die Jahre hinweg nicht daran gehindert, ein breites Programm an Aktivitäten zu entwickeln und durchzuführen:

Dazu gehören die Wallfahrten. Da ist vor allem an die beiden bistumsinternen Wallfahrten nach Stuttgart-Hofen – ein Herzensanliegen Steinhübls - und die Wallfahrt zur Elisabeth nach Ehningen zu erinnern. Die Wallfahrt nach Ehningen stand von Anfang an im Kontext mit dem Gedenken an die Toten des Partisanenaufstandes 1944.8 Zu den Schwerverwundeten dieses Aufstandes gehörte auch der Stadtpfarrer von Ehningen Josef Pöss; deswegen fand in seiner, der hl. Elisabeth geweihten Kirche auch das Gedenken an die Opfer dieses Aufstandes vom September 1944 seinen Ort. Neben den Wallfahrten sind die individuellen Hilfsanfragen auch von Slowaken in der Emigration zu nennen, die Tagungen, die Priesterkonferenzen, die organisatorische Mitarbeit und nicht selten Federführung an einer ganzen Reihe von Heimatortsbüchern, also die Realisierung des Auftrages, Kulturgut zu sammeln und zu bewahren und der Versuch, mit Priestern und auch mit Deutschen, die in der Slowakei geblieben sind, im Kontakt zu bleiben, ihnen Hilfssendungen zukommen zu lassen, ihnen auch Gelder für Kirchenrenovierungen zu übermitteln.

 


 

1 Beispielsweise Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945. München 2008.

2 Als ein eindringliches Beispiel von vielen die Erzählung der schlesischen Schriftstellerin Monika Taubitz: Treibgut. Stuttgart 1983, die auch die bedrängende Notsituation, den Hunger der Jahre 1946–1948 aus dem Rückblick auf die eigenen Erfahrungen sehr eindrücklich schildert.

3 Vgl. dazu Hilfsbund karpatendeutscher Katholiken e. V. Stuttgart (Hg.): 1948 bis 1998, 50 Jahre Hilfsbund karpatendeutscher Katholiken, ohne Ort, ohne Jahr und Josef Steinhübl: Mein Leben. Kampf eines katholischen Pfarrers für den Glauben und das Deutschtum in der Slowakei, Stuttgart 1975.

4 Hanna Barbara Gerl: Romano Guardini. 1885-1968. Leben und Werk, Mainz 1985, S. 216-218.

5 Gerl, Guardini, S. 218-230.

6 Steinhübl, Mein Leben, S. 129.

7 Vgl. dazu AKVO Stuttgart, Ordner Hilfsbund, Büro des Vorsitzenden, 1957; Ordner Hilfsbund, katholische Arbeitsstelle Süd, 1957; Ordner, Hilfsbund, Korrespondenz ab Februar 1967 und Ordner Hilfsbund Satzungen, Protokolle Mitgliederversammlung.

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